Paragraf 13b BauGB

Der Titel unseres Stammtischs vom 17.01.2022 trug einen sperrigen Namen. Wie brisant das Thema aber für unsere Gemeinden ist, zeigten die vielen Teilnehmenden an der Veranstaltung und die rege Debatte im Anschluss.

Unser Vorsitzender Daniel Baier stellte die Eckpunkte des Gesetzes und seine Geschichte vor. 2017 eingeführt um der Wohnungsnot Herr zu werden und schnell Wohnraum zu schaffen. Doch was sagt der Paragraf aus?

Er dient dazu kleine Baugebiete bis zu einer Größe von einem Hektar (10000 qm²) Wohnraumfläche von Auflagen zu entbinden. Man nennt dies beschleunigtes Verfahren. Welche planerisch anspruchsvollen Aufgaben fallen weg?

  • Wegfall der frühzeitigen Unterrichtung der Öffentlichkeit und Erörterung
  • Verzicht auf die Umweltprüfung
  • Verzicht auf den formellen Umweltbericht
  • Verzicht auf die Liste der „Arten der verfügbaren umweltbezogenen Informationen“ (d.h. z.B. faunistische oder floristische Gutachten, Lärmgutachten usw.)
  • Verzicht auf ein Monitoring (Beobachtung der Umweltauswirkungen)
  • Nur auf reine Wohngebiete und allgemeine Wohngebiete anwendbar
  • Kein Ausgleich erforderlich nach §1a BauGB (d.h. entsprechende ökologische Ausgleichsmaßnahmen)

10 Baugebeite, damit rund ein Drittel aller Verfahren im Rems-Murr-Kreis in der ersten Gültigkeitsdauer des Paragrafen entfallen auf Winnenden. Die Liste geht von der geplanten Bebauung der Festwiese in Birkmannsweiler mit Wohnraum für geflüchtete Menschen bis hin zu Luxuswohnraum mit Blick von der Sonnenbergstraße in Breuningsweiler.

Kürzlich wurde im Gemeinderat in Winnenden durch die nunmehr gültige Verlängerung des Paragrafen wieder eine Liste von Baugebieten zur Abstimmung gebracht und ein weiteres Baugebiet fand die Mehrheit. Hier sind Ausgleichsmaßnahmen erforderlich, weil man für Ein- und Zweifamilienhäuser ökologisch wertvolle Streuobstwiesen, die zu den artenreichsten Lebensräumen Europas gehören, fällen möchte.

Die Ausnahmegenehmigung der Unteren Naturschutzbehörde gilt als Formalität, Berichte aus dem Bodenseekreis zeigen, dass die Behörden diese Ausnahmegenehmigungen recht zuverlässig erteilen. Christoph Mohr, Fraktionsvorsitzender der ALI-Fraktion stimmte gegen das Baugebiet und auch Swantje Sperling, unsere Landtagsabgeordnete, ist nicht zufrieden mit der Umsetzung des neuen Gesetzes zum Schutz der Streuobstwiesen – auch wenn die kommunale Bauplanung natürlich Aufgabe der Gemeinden und der Behörden sei.

Ein besonders auffälliges Beispiel für die Nutzung des Paragrafen ist das geplante Baugebiet Pfeiferfeld in Berglen, das ebenfalls eine Mehrheit im Berglener Gemeinderat fand. Die Wohngrundfläche entspricht 0,96 Hektar, die eigentliche Größe des Plangebiets umfasst aber mehr als 4,5 Hektar (https://www.berglen.de/fileadmin/Dateien/Dateien/Bebauungsplanverfahren_Pfeiferfeld_Steinach_Aufstellungsbeschluss.pdf). Fläche, die für immer verloren ist. Allein ca. 2 Hektar Straßenfläche – hauptsächlich für eine eigene Zufahrt über ein Feuchtgebiet und durch alte Streuobstbäume, die nur wenige Tage nach dem Beschluss gefällt wurden. Man klassifiziere sie wohl nicht als Streuobstwiese, weswegen keine Ausnahmegenehmigung erforderlich sei. Die ist für das in der Zufahrt befindliche Feuchtgebiet nötig. Dennoch wird das Gebiet wohl bebaut werden.

Damit befindet sich das Baugebiet dann am absoluten Maximum des theoretisch in der Fläche möglichen (vergleiche hierzu die Ergebnisse in der Regierungsabfrage zum Paragrafen (https://mlw.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mlw/intern/Dateien/03_Bauen-Wohnen/AbfrageWM_2020__13b.pdf). Wahrscheinlich sogar ein Rekord. Wir gratulieren ganz herzlich.

Eine Studie des Umweltbundesamt aus dem Jahr 2020 (https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/texte_93-2020_baugb-novellen.pdf) zeigt, dass Winnenden und Berglen keine Einzelfälle sind. Der Paragraf 13b wird hauptsächlich in ländlichen Gegenden genutzt, Winnenden befindet sich bereits im Verdichtungsbereich Stuttgarts.

Dieser Streit hat auch eine politische Geschichte bei uns in Baden-Württemberg.

Die Stellungnahme von Frau Dr. Hoffmeister-Krautt (CDU), der Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden-Württemberg lobt den Paragrafen.

Diese Regelung ist eine enorme Erleichterung für unsere Städte und Gemeinden, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen.

Dr. Hoffmeister-Krautt, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden-Württemberg
https://stm.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/beschleunigtes-bebauungsplanverfahren-soll-verlaengert-werden/

Das man dies durchaus anders sehen kann, zeigt die Stellungnahme von Susanne Bay, zukünftige Regierungspräsidentin des Regierungsbezirks von uns Grünen.

Der 13b hält nicht das, was sich die Bundesregierung von ihm versprochen hat – und auch nicht das, was unsere baden-württembergische Wirtschaftsministerin suggeriert. Eine Evaluation hat gezeigt, dass in Baden-Württemberg mithilfe des Paragrafen 13b nur wenige Wohneinheiten geschaffen wurden – bei gleichzeitig hohem Flächenverbrauch. Deshalb wundern wir uns, dass das CDU-geführte Wirtschaftsministerium sich für dieses Verfahren so stark macht – zu Lasten von Umwelt und Natur.“

Susanne Bay (Grüne), baupolitische Sprecherin der Grünem Landtagsfraktion
https://www.gruene-landtag-bw.de/presse/aktuelles/bay-paragraf-13-b-loest-wohnungsnot-in-angespannten-gebieten-nicht/

Der politische Streit wurde letztendlich durch eine Vereinbarung im Koaltionsvertrag zwischen SPD, Grünen und der FDP auf Bundesebene entschieden auch wenn die Verlängerung von der Vorgängerregierung noch beschlossen wurde.

Wir werden das Nachhaltigkeitsziel der Bundesrepublik beim Flächenverbrauch mit konkreten Maßnahmen hinterlegen. Die Regelung des § 13b BauGB wird nicht verlängert.

Koalitionsvertrag 2021 zwischen SPD, Grünen und FDP, https://cms.gruene.de/uploads/documents/Koalitionsvertrag-SPD-GRUENE-FDP-2021-2025.pdf

Ingrid Boegler aus unserem Ortsvorstand wies darauf hin, dass hier nicht nur allein Natur sondern auch wertvolle Böden für die Landwirtschaft verloren gehen. Eine wichtige Komponente und ein tolles Thema, das auf unserer Veranstaltung im Frühjahr zum Schutz der Böden in den Vordergrund rücken wird. Wir freuen uns schon sehr darauf.

Die anschließende Debatte über kommunalpolitische Schwierigkeiten in der Durchsetzung, aber auch viele Ideen wie man Wohnraum nachhaltig schaffen kann und unsere Flächen schont. Die Altersstrukturen in angrenzenden Gebieten zu berücksichtigen und wohnortnah altersgerechte Mehrfamilienhäuser schaffen um älteren Mitmenschen zu ermöglichen am selben Ort zu wohnen zu bleiben, wenn das geliebte Eigenheim zu groß und beschwerlich wird. Über Baugebote den Bau von Zwei- statt Einfamilienhäuser zu etablieren, die man dann in den ersten Jahren auch alleine mit der Familie nutzen kann und später zu Wohnraum für zwei Haushalte umbauen kann. Ein Gedanke von Frieder John und es ist durchaus möglich, wenn man dies im Bebauungsplan festlegt.

Um den Flächenverbrauch wie angestrebt bis zum Jahr 2030 auf Netto-Null zu reduzieren, muss man Wohnen in der Fläche und nicht nur im begrenzten Modell einer internationalen Bauausstellung neu denken.

Wir freuen uns auf weitere Debatten in unserem kleinen Ortsverband.

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